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Globalisierung & Musik
Balkanpop riecht nach Verfall
Weltmusik was soll das noch bedeuten, wenn die Welt zusammenwächst?
MySpace und YouTube vernetzen aller Länder Klänge. Ein
Abgesang auf ein dahinsiechendes Genre
Die Weltmusik liegt im Sterben, dabei ist sie gerade 21 Jahre
alt. Schuld ist dieselbe Globalisierung, die sie hervorbrachte.
Transportable Aufnahmegeräte, erschwingliche Fernreisen und
bessere Kommunikationstechnik machten Musikstile aus aller Welt
den westlichen Konsumenten erst zugänglich und ihre
Weiterentwicklung lässt das Genre überflüssig werden:
Die Musiker rund um den Globus brauchen keine Manager mehr, die
ihnen den vermeintlich verkaufsfördernden Aufkleber World
Music auf die CD-Hülle pappen, sie haben ja MySpace und YouTube.
Die Weltmusik wurde an einem Montag erfunden, am 29. Juni 1987.
Einige britische Plattenfirmen vergaßen damals zeitweise
alle Konkurrenz und planten bei einem Treffen in London eine gemeinsame
Image-Kampagne. Es gab ja auch was zu holen: Musiker wie Paul
Simon hatten erfolgreich mit Kollegen aus Afrika kooperiert und
so einen neuen Markt erschlossen der nun einen Namen brauchte,
um richtig Geld zu machen. World Beat wurde von den Labels ebenso
verworfen wie die gar zu differenzierte Idee, existierende Genres
mit dem Präfix Tropical oder Hot zu versehen, also etwa Tropical
Rock zu produzieren. Stattdessen stellten sie Plattenläden
Sortier-Kartons mit der Aufschrift World Music zur Verfügung.
Sie planten eine Weltmusik-Kassette als Beilage im New Musical
Express, gemeinsame Anzeigen und die ersten World Music Charts.
Mit einer Definition des Genres plagten sich die Damen und Herren
nicht. "Someone elses local music", schlug das
Magazin Songlines später vor: anderer Leute Lokalmusik
aus der Perspektive urbaner Westler. Wenn Aborigines in ihre Didgeridoos
tröten, Ashanti die Trommeln sprechen lassen oder tibetische
Mönche singen, ist das spirituelle Übung, Tanzrhythmus
oder Kriegssoundtrack. Weltmusik entsteht daraus erst, wenn Westler
sie entdecken, CDs aufnehmen, Konzerte veranstalten.
Den Begriff soll der Ethnomusikologe Robert E. Brown in den sechziger
Jahren erfunden haben. Latinophile und afroaffine Jazzer waren
die Ersten, die ihre Lieblingsbrocken aus der musikalischen Ursuppe
löffelten. Damals spielten George Harrison Sitar und Brian
Wilson Koto, Brian Jones produzierte Sufi-Musiker aus Marokko
und Paul Simon ließ El Condor Pasa fliegen. Die Reihe weißer
Paten kulminierte in Simons Album Graceland von 1986 und Peter
Gabriels 1989 gegründetem Label Real World.
Nun kam die Zeit der Schmetterlingssammler: Plattenfirmen
wie Nonesuch, World Circuit oder World Network spießten
in immer entlegeneren Weltgegenden unerhörte Musikstile auf,
hielten singenden Großmüttern in unzugänglichen
Kaukasustälern Mikrofone vor die zahnlosen Münder, entwickelten
Tonabnehmer für einsaitige Streichinstrumente aus tropischem
Holz. Eine Entdeckerattitüde durchzog allen guten Vorsätzen
zum Trotz ihre Kataloge. Wellenweise schwappten Moden durch Hitparaden,
Tanzsäle und Fußgängerzonen: andines Pan-Geflöte
Poncho tragender Putsch-Flüchtlinge, guinnessseliger Keltenfolk,
Oberton-Gesang aus Rumänien und Kehlkopfgeröchel aus
der Mongolei, wohlverdrängter Shtetl-Klezmer, pastelliger
Buena-Vista-Social-Club-Son und zuletzt Balkan-Musik aller Couleur.
Die Balkan-Mode riecht schon streng nach dem Verfall der Weltmusik:
Hier stellen nicht mehr mitteleuropäische Weltreisende exotische
Artefakte in ihre Vitrinen, hier spielen alle mit allem
Balkan nicht als Region, sondern als Synonym für kreatives
Chaos. Manche der Musiker haben nicht mal familiäre Wurzeln
in Ostmitteleuropa. Alle mischen munter Punk- und Surf-Gitarre
sowie elektronische Rhythmen mit den Stilen von Völkern,
die sich bislang häufiger gegenseitig umgebracht als miteinander
musiziert haben oder die sich nie begegnet sind.
So ähnlich läuft das auch anderswo. Beispiele sind
das Afro Celt Sound System, Radio Tarifa, 17 Hippies oder Simon
Emmersons Album The Imagined Village: englische Dorfmusik mit
Migrationshintergrund. Selbst amerikanische Gitarrenjungs wie
Vampire Weekend (bekennende Graceland-Fans) bedienen sich bei
afrikanischen Rhythmen, und der deutsche Weltmusikpreis Creole
ordnet den Wettbewerb nach den Herkunftsländern der Gruppen
den Herkunfts-Bundesländern.
Die Schmetterlinge treiben es zu bunt; das CD-Schildchen "File
Under: World Music / Ethno" hat seinen Sinn verloren. Ein
bisschen wird noch nachgeholt, werden etwa großartige Musiker
aus dem Afrika der siebziger und achtziger Jahre wie das Orchestra
Baobab verspätet kompiliert. Aber weil digitale Technik und
moderne Kommunikationswege in alle Ecken dringen, finden Musiker
aus Afrika, Asien, Südamerika ohnehin auch ohne die Simons,
Gabriels und Ry Cooders dieser (westlichen) Welt den direkten
Weg zu Konsumenten in und außerhalb ihrer Gemeinden. MySpace
und YouTube sind überall, Portale wie Calabash oder Tygahoney
Music behaupten, fair gehandelte Downloads anzubieten: Die Globalisierung
frisst ihr Kind, die Weltmusik.
Meilensteine der Weltmusik
Weather Report
Weather Report waren eine der spannendsten Jazzbands der Siebziger.
Der Synthesizer-Pionier Joe Zawinul und der Miles-Davis-Saxophonist
Wayne Shorter bildeten den stabilen Kern, hinzu kamen unter anderem
Frank Zappas Schlagzeuger Chester Thompson und der Bassist Jaco
Pastorius. Als sie auch noch afrikanische Einflüsse integrierten,
erfanden sie das Genre World Fusion. Das Album Black Market (1975)
eroberte auch afrikanische Hörer; das Intro des Titelstücks
wurde für die nächsten 20 Jahre zur Erkennungsmelodie
von Radio Dakar im Senegal.
Paul Simon
Als er noch mit Art Garfunkel sang, lieh Simon sich das Lied El
Condor Pasa aus Peru. Im Karrieretief Mitte der Achtziger hörte
er die südafrikanischen Boyoyo Boys und hatte die Idee zu
Graceland (1986), größtenteils in Südafrika aufgenommen.
Das brachte ihm den Vorwurf ein, den Boykott des Apartheidregimes
zu unterlaufen, obwohl er gerade mit schwarzen Südafrikanern
zusammenarbeitete. Einige wurden wie die A-Capella-Gruppe Ladysmith
Black Mambazo außerhalb Afrikas erfolgreich. Auch Zydeco-
and Tex-Mex-Musiker spielten mit. Das Album wurde eines der 100
erfolgreichsten aller Zeiten.
Youssou NDour
Youssou NDour, 1959 in Dakar geboren, entwickelte den senegalesischen
Stil mit, der auf Wolof Mbalax (sprich: Mballach) heißt
und aus der Percussion der westafrikanischen Wandersänger,
der Griots, sowie aus kubanischen Rhythmen entstand. NDour
war in Afrika berühmt, lange bevor Peter Gabriel 1986 mit
ihm arbeitete. Mit The Lion (1989) wurde er international bekannt,
Eyes Open war 1992 für einen Grammy nominiert. Eine Single
aus dem 1994er Album The Guide (Wommat) war sein größter
Hit: 7 Seconds im Duett mit Neneh Cherry.
Afro Celts
Simon Emmerson bastelte sich seit 1992 eine Multikulti-Band, die
vor allem irische und afrikanische Traditionen verbinden sollte.
Volume 1: Sound Magic (1996) war das erste von fünf Alben,
für die das Afro Celt Sound System einen Vertrag mit Peter
Gabriels Label Real World schloss. Sie wurden nach Gabriel
dessen bestverkaufter Act mit ihrer Kombination aus irischer
Bodhran-Trommel und ghanaischer Talking Drum, keltischer Harfe
und Kora, Dudelsack und Flöte mit Computertechnik und Techno-Rhythmen.
2005 erschien Volume 5: Anatomic, seither warten die Fans vergeblich
auf neues Material der Afro Celts.
Buena Vista Social Club
Der Gitarrist Ry Cooder hatte schon 1974 mit hawaiianischen Musikern
ein Album aufgenommen, spielte mit Musikern aus Indien, Südamerika
und Afrika. 1996 reiste er nach Kuba, trommelte mit Hilfe des
Son-Kenners Juan de Marcos González eine Handvoll Musiker
zusammen, größtenteils waren sie mehr als 70 Jahre
alte: Ibrahim Ferrer, Compay Segundo, Omara Portuondo, Rubén
González und Eliades Ochoa. Die gemeinsame CD wurde laut
ihrer Plattennfirma das bestverkaufte Weltmusikalbum aller Zeiten.
1998 schleppte Cooder den Film-Regisseur Wim Wenders nach Kuba,
sein Dokumentarfilm feuerte die CD-Verkäufe zusätzlich
an.
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