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Jazz wird Pop
So viel sexier
Sie sind smart, jung und spielen zwischen den Genres: Jazzmusiker
wie Torsten Goods, Peter Cincotti, Jamie Cullum oder Michael Bublé
haben keine Angst vor dem Pop. Sollten sie aber!
Manchmal vergisst man, wie jung Jazzmusiker sein können.
Torsten Goods führt es auf seinem neuen Album vor: Es heißt
1980 wie sein Geburtsjahr. Der Gitarrist und Sänger
macht darauf eine nicht ganz ernst gemeinte These zum Konzept:
Jeden Künstler präge die Musik seines Geburtsjahres.
Also erklingen Queens Crazy Little Thing Called Love und Billy
Joels Its Still RocknRoll To Me, beide schon
immer rückwärtsgewandt in Richtung Elvis, jetzt noch
weiter zurückgedreht in die Swing-Ära. 99 von Toto wird
zur coolen Easy-Listening-Nummer. Goods eigene Kompositionen
gehen den umgekehrten Weg: Jazz im Stil der Achtziger, leicht
bombastisch, etwas zu schnörkelig. Die Stimme changiert zwischen
Al Jarreau, dem Toto-Gitarristen Steve Lukather und alten Swing-Croonern.
Goods, in Düsseldorf als Torsten Gutknecht geboren, tat
seine ersten musikalischen Schritte in Rockbands, bevor er auf
Lehrer wie Peter OMara, Jim Hall, John Scofield, Les Paul
und George Benson traf. Das Fundament stimmt, seine Technik ist
erstaunlich. Und gemessen an so manchem Mikrofonhalter im Pop
ist selbst seine Stimme nicht schlecht. Goods Kompositionen
bestechen nicht durch Radikalität, sind aber auch nicht unoriginell.
Hm, ist das Jazz?
Ähnlich ist das auch mit anderen jungen Kollegen: Sie waten
tief in den Pop und ragen doch weit genug heraus, um nicht im
matschigen Einerlei unterzugehen.
Zum Beispiel Peter Cincotti, Jahrgang 1983: Klavierstunden mit
vier, Profi mit zwölf, regelmäßige Auftritte in
den Clubs von Manhattan während der High School, 2000 ein
Preis beim Montreux Jazz Festival. Sein erstes Album ließ
er 2003 von Phil Ramone produzieren, der einst Billy Joel und
Barry Manilow unter den Fittichen hatte.
Mit Album Nummer vier, East of Angel Town, wurde Cincotti Anfang
2008 auch in Europa bekannt, unter Mithilfe des Produzenten David
Foster (Whitney Houston, Celine Dion). Auf seiner Debütplatte
interpretierte er Standards, heute bestreitet er Alben allein
mit Eigenkompositionen, die mit Jazz wenig zu tun haben. Reichlich
ähem mainstreamig ist das und ein bisschen
schade um die schöne Ausbildung. Aber als Kaminfeuerbeschallung
kann Cincottis Musik mit der von Norah Jones mithalten.
Die britische Variante desselben Phänomens heißt Jamie
Cullum, mediengängig als Leonardo di Caprio des Jazz apostrophiert,
ebenfalls Sänger und Pianist, aber mit rauerem, robusterem
Organ als Cincotti. 1979 geboren, Vater Israeli, Mutter aus Burma,
beide Musiker in der Band The Impacts. Als Kleinkind hat Cullum
erste Tasten gedrückt, bekam später Gitarren- und Gesangsunterricht,
finanzierte sich dann das Studium durch Auftritte. 2003 erhielt
er den British Jazz Award als Rising Star und einen Vertrag
bei Universal Jazz.
Sein Album Twentysomething stellte Jazz-Standards neben The Wind
Cries Mary von Jimi Hendrix und viele eigene Stücke. Im September
2005 folgte Catching Tales, fast nur Eigenkompositionen. Cullum
schüttet Einflüsse von Miles Davis bis Tom Waits in
eine sehr eigene Suppe, interpretiert die White Stripes ebenso
wie Elton John, Massive Attack ebenso wie Justin Timberlake. Er
wirkt, um einen altmodischen Terminus zu bemühen, authentisch,
wo Cincottis Glätte abstößt. Seine Plattenfirma
erwartet für die erste Hälfte 2009 ein neues Album.
Aber Jazz? Naja.
Auch Michael Bublé bekam das Etikett Jazz aufgeklebt,
aber der Kanadier kroatisch-italienischer Abstammung, 1975 geboren,
bestückt seine Alben seit 2003 mit kaleidoskopischen Kollektionen
quer durch alle Epochen. Ordentliche Stimme, Star-Appeal auch
nach der Trennung von der Schauspielerin Emily Blunt, aber Jazz?
Trotz der vier Canadian Smooth Jazz Awards und einem Jazz-Echo:
Der Grammy 2008 für das Best Traditional Pop Vocal Album
triffts besser.
Ein ganz anderes Kaliber ist Aaron Parks, Jahrgang 1983. Der
offenbar fürchterlich Hochbegabte kam mit 14 an die University
of Washington und studierte Musik und Computerwissenschaft, bevor
er auf die Manhattan School of Music in New York wechselte. Er
landete beim Label Blue Note, erst als Pianist für Terence
Blanchard, jetzt auch als Solist: Sein gerade erschienenes Album
Invisible Cinema verbindet Einflüsse aus Indie-Rock und Hip-Hop.
Doch Parks verwandelt sie mit seinem Quartett in
echten Jazz, und zwar von der Sorte, die nicht nach Vergangenheit
stinkt. Der erstklassige Improvisateur, Komponist und Arrangeur
hat es nicht nötig, zu singen. Sein einziges Zugeständnis
an die Popwelt ist, dass er verdammt gut aussieht aber
dafür kann er ja nichts.
Die Cincottis, Bublés und Cullums dagegen nutzen die Marketing-Klaviatur
des Pop, von Filmrollen über eigene Fan-Seiten und Videoclips
bis zu Interviews, die mehr vom Privatleben handeln als von Musik.
Ihre Kleidung sieht aus, als sei sie mindestens so teuer wie gute
Studiomusiker.
Die Masche zieht. Unter einem Cincotti-Clip auf YouTube steht
der Kommentar: Jazz wird durch ihn so viel sexyer.
Das werden die vielen anderen jungen Jazzer gern hören, etwa
die, auf die das findige Label ACT in seiner Reihe Young German
Jazz aufmerksam macht. Sie suchen ihr Heil nicht im Pop, sondern
fühlen sich dem Punk verwandt wie Matthias Schriefl (Jahrgang
1981), spüren Chet Baker nach (die Brüder Wasserfuhr,
1987 und 1985) oder verbinden explosive Improvisation mit schlafwandlerischem
Ensemblespiel (Michael Wollny, Jahrgang 1978, und sein Trio).
Jazz halt.
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