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Globalisierung & Musik. Balkanpop riecht nach Verfall, Zeit Online vom 9. September 2008

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Globalisierung & Musik
Balkanpop riecht nach Verfall

Weltmusik – was soll das noch bedeuten, wenn die Welt zusammenwächst? MySpace und YouTube vernetzen aller Länder Klänge. Ein Abgesang auf ein dahinsiechendes Genre

Die Weltmusik liegt im Sterben, dabei ist sie gerade 21 Jahre alt. Schuld ist dieselbe Globalisierung, die sie hervorbrachte. Transportable Aufnahmegeräte, erschwingliche Fernreisen und bessere Kommunikationstechnik machten Musikstile aus aller Welt den westlichen Konsumenten erst zugänglich – und ihre Weiterentwicklung lässt das Genre überflüssig werden: Die Musiker rund um den Globus brauchen keine Manager mehr, die ihnen den vermeintlich verkaufsfördernden Aufkleber World Music auf die CD-Hülle pappen, sie haben ja MySpace und YouTube.

Die Weltmusik wurde an einem Montag erfunden, am 29. Juni 1987. Einige britische Plattenfirmen vergaßen damals zeitweise alle Konkurrenz und planten bei einem Treffen in London eine gemeinsame Image-Kampagne. Es gab ja auch was zu holen: Musiker wie Paul Simon hatten erfolgreich mit Kollegen aus Afrika kooperiert und so einen neuen Markt erschlossen – der nun einen Namen brauchte, um richtig Geld zu machen. World Beat wurde von den Labels ebenso verworfen wie die gar zu differenzierte Idee, existierende Genres mit dem Präfix Tropical oder Hot zu versehen, also etwa Tropical Rock zu produzieren. Stattdessen stellten sie Plattenläden Sortier-Kartons mit der Aufschrift World Music zur Verfügung. Sie planten eine Weltmusik-Kassette als Beilage im New Musical Express, gemeinsame Anzeigen und die ersten World Music Charts.

Mit einer Definition des Genres plagten sich die Damen und Herren nicht. "Someone else’s local music", schlug das Magazin Songlines später vor: anderer Leute Lokalmusik – aus der Perspektive urbaner Westler. Wenn Aborigines in ihre Didgeridoos tröten, Ashanti die Trommeln sprechen lassen oder tibetische Mönche singen, ist das spirituelle Übung, Tanzrhythmus oder Kriegssoundtrack. Weltmusik entsteht daraus erst, wenn Westler sie entdecken, CDs aufnehmen, Konzerte veranstalten.

Den Begriff soll der Ethnomusikologe Robert E. Brown in den sechziger Jahren erfunden haben. Latinophile und afroaffine Jazzer waren die Ersten, die ihre Lieblingsbrocken aus der musikalischen Ursuppe löffelten. Damals spielten George Harrison Sitar und Brian Wilson Koto, Brian Jones produzierte Sufi-Musiker aus Marokko und Paul Simon ließ El Condor Pasa fliegen. Die Reihe weißer Paten kulminierte in Simons Album Graceland von 1986 und Peter Gabriels 1989 gegründetem Label Real World.

Nun kam die Zeit der Schmetterlingssammler: Plattenfirmen wie Nonesuch, World Circuit oder World Network spießten in immer entlegeneren Weltgegenden unerhörte Musikstile auf, hielten singenden Großmüttern in unzugänglichen Kaukasustälern Mikrofone vor die zahnlosen Münder, entwickelten Tonabnehmer für einsaitige Streichinstrumente aus tropischem Holz. Eine Entdeckerattitüde durchzog allen guten Vorsätzen zum Trotz ihre Kataloge. Wellenweise schwappten Moden durch Hitparaden, Tanzsäle und Fußgängerzonen: andines Pan-Geflöte Poncho tragender Putsch-Flüchtlinge, guinnessseliger Keltenfolk, Oberton-Gesang aus Rumänien und Kehlkopfgeröchel aus der Mongolei, wohlverdrängter Shtetl-Klezmer, pastelliger Buena-Vista-Social-Club-Son und zuletzt Balkan-Musik aller Couleur.

Die Balkan-Mode riecht schon streng nach dem Verfall der Weltmusik: Hier stellen nicht mehr mitteleuropäische Weltreisende exotische Artefakte in ihre Vitrinen, hier spielen alle mit allem – Balkan nicht als Region, sondern als Synonym für kreatives Chaos. Manche der Musiker haben nicht mal familiäre Wurzeln in Ostmitteleuropa. Alle mischen munter Punk- und Surf-Gitarre sowie elektronische Rhythmen mit den Stilen von Völkern, die sich bislang häufiger gegenseitig umgebracht als miteinander musiziert haben – oder die sich nie begegnet sind.

So ähnlich läuft das auch anderswo. Beispiele sind das Afro Celt Sound System, Radio Tarifa, 17 Hippies oder Simon Emmersons Album The Imagined Village: englische Dorfmusik mit Migrationshintergrund. Selbst amerikanische Gitarrenjungs wie Vampire Weekend (bekennende Graceland-Fans) bedienen sich bei afrikanischen Rhythmen, und der deutsche Weltmusikpreis Creole ordnet den Wettbewerb nach den Herkunftsländern der Gruppen – den Herkunfts-Bundesländern.

Die Schmetterlinge treiben es zu bunt; das CD-Schildchen "File Under: World Music / Ethno" hat seinen Sinn verloren. Ein bisschen wird noch nachgeholt, werden etwa großartige Musiker aus dem Afrika der siebziger und achtziger Jahre wie das Orchestra Baobab verspätet kompiliert. Aber weil digitale Technik und moderne Kommunikationswege in alle Ecken dringen, finden Musiker aus Afrika, Asien, Südamerika ohnehin auch ohne die Simons, Gabriels und Ry Cooders dieser (westlichen) Welt den direkten Weg zu Konsumenten in und außerhalb ihrer Gemeinden. MySpace und YouTube sind überall, Portale wie Calabash oder Tygahoney Music behaupten, fair gehandelte Downloads anzubieten: Die Globalisierung frisst ihr Kind, die Weltmusik.

 

Meilensteine der Weltmusik

Weather Report
Weather Report waren eine der spannendsten Jazzbands der Siebziger. Der Synthesizer-Pionier Joe Zawinul und der Miles-Davis-Saxophonist Wayne Shorter bildeten den stabilen Kern, hinzu kamen unter anderem Frank Zappas Schlagzeuger Chester Thompson und der Bassist Jaco Pastorius. Als sie auch noch afrikanische Einflüsse integrierten, erfanden sie das Genre World Fusion. Das Album Black Market (1975) eroberte auch afrikanische Hörer; das Intro des Titelstücks wurde für die nächsten 20 Jahre zur Erkennungsmelodie von Radio Dakar im Senegal.

Paul Simon
Als er noch mit Art Garfunkel sang, lieh Simon sich das Lied El Condor Pasa aus Peru. Im Karrieretief Mitte der Achtziger hörte er die südafrikanischen Boyoyo Boys und hatte die Idee zu Graceland (1986), größtenteils in Südafrika aufgenommen. Das brachte ihm den Vorwurf ein, den Boykott des Apartheidregimes zu unterlaufen, obwohl er gerade mit schwarzen Südafrikanern zusammenarbeitete. Einige wurden wie die A-Capella-Gruppe Ladysmith Black Mambazo außerhalb Afrikas erfolgreich. Auch Zydeco- and Tex-Mex-Musiker spielten mit. Das Album wurde eines der 100 erfolgreichsten aller Zeiten.

Youssou N‘Dour
Youssou N’Dour, 1959 in Dakar geboren, entwickelte den senegalesischen Stil mit, der auf Wolof Mbalax (sprich: Mballach) heißt und aus der Percussion der westafrikanischen Wandersänger, der Griots, sowie aus kubanischen Rhythmen entstand. N’Dour war in Afrika berühmt, lange bevor Peter Gabriel 1986 mit ihm arbeitete. Mit The Lion (1989) wurde er international bekannt, Eyes Open war 1992 für einen Grammy nominiert. Eine Single aus dem 1994er Album The Guide (Wommat) war sein größter Hit: 7 Seconds im Duett mit Neneh Cherry.

Afro Celts
Simon Emmerson bastelte sich seit 1992 eine Multikulti-Band, die vor allem irische und afrikanische Traditionen verbinden sollte. Volume 1: Sound Magic (1996) war das erste von fünf Alben, für die das Afro Celt Sound System einen Vertrag mit Peter Gabriels Label Real World schloss. Sie wurden – nach Gabriel – dessen bestverkaufter Act mit ihrer Kombination aus irischer Bodhran-Trommel und ghanaischer Talking Drum, keltischer Harfe und Kora, Dudelsack und Flöte mit Computertechnik und Techno-Rhythmen. 2005 erschien Volume 5: Anatomic, seither warten die Fans vergeblich auf neues Material der Afro Celts.

Buena Vista Social Club
Der Gitarrist Ry Cooder hatte schon 1974 mit hawaiianischen Musikern ein Album aufgenommen, spielte mit Musikern aus Indien, Südamerika und Afrika. 1996 reiste er nach Kuba, trommelte mit Hilfe des Son-Kenners Juan de Marcos González eine Handvoll Musiker zusammen, größtenteils waren sie mehr als 70 Jahre alte: Ibrahim Ferrer, Compay Segundo, Omara Portuondo, Rubén González und Eliades Ochoa. Die gemeinsame CD wurde laut ihrer Plattennfirma das bestverkaufte Weltmusikalbum aller Zeiten. 1998 schleppte Cooder den Film-Regisseur Wim Wenders nach Kuba, sein Dokumentarfilm feuerte die CD-Verkäufe zusätzlich an.

 

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