
KROATIEN
Grauer Fleck auf Europas Karte
Bis 2009 sollten die Gespräche
über den EU-Beitritt beendet sein. Nach dem Nein Irlands
ist dieser Zeitplan fraglich
Ein seltsames Wahrzeichen haben die Kroaten Vukovar
gegeben: den im Krieg 1991 zerschossenen Wasserturm. In dem Zweckbau
aus Backstein und Zement klaffen tiefe Löcher, Geschossnarben
kerben seine Betonrippen. Sechs Millionen Geschosse sollen in
Vukovar während der 87-tägigen Belagerung durch die
jugoslawische Volksarmee und serbische Milizen eingeschlagen sein.
Das war Spätsommer und Herbst 1991. Damals wie heute fließt
die Donau träge durch die pannonische Tiefebene, am anderen
Ufer liegt Serbien. Auf vielen Felder liegen noch immer Minen.
Sie verhindern, dass die fruchtbare Region Slawonien ihre alte
Rolle als Kornkammer und Gemüselieferant zurückerhält.
Kroatien trägt immer noch schwer an den Folgen des Bürgerkrieges
-und doch will das Land spätestens 2011, zwanzig Jahre nach
dem Morden, der Europäischen Union beitreten.
Es war im Jahr 1991, als serbische Soldaten und Freischärler
rund 400 Menschen aus dem Krankenhaus abführten: Patienten,
Schwestern und Ärzte. Mindestens 200 wurden in einer Schweinefarm
außerhalb von Vukovar hingerichtet. Heute erinnert hier
eine Gedenkstätte an das Massaker von Vukovar. Kristijan
Drobina, 22 Jahre alt, führt die Besucher: "Man muss
darüber erzählen, damit es nicht in Vergessenheit gerät",
sagt er. Ein Museumsshop verkauft den Wasserturm en miniature,
aus Gips. "Wir Kinder sind mit der Mutter geflüchtet,
mein Vater hat die Stadt verteidigt", erinnert sich Drobina.
Sein Vater liegt auf dem nahen Friedhof in einem der Gräber
mit der Inschrift "Hratvski Branitelj", übersetzt
kroatischer Kämpfer. 983 weiße Kreuze stehen dort für
aus Massengräbern umgebettete Tote, die nie identifiziert
wurden. Dutzende Gärtner schuften in der Hitze. Sie pflegen
das Andenken der Toten - der kroatischen Toten. Ein Drittel der
rund 32.000 Einwohner von Vukovar sind ethnische Serben. Sie werden
auf Schritt und Tritt daran erinnert, dass Serben als Täter
gelten in Kroatien. Nur vereinzelt mussten sich Kroaten vor kroatischen
Gerichten für diese Übergriffe verantworten.
Versteckte Sorge
In westlichen Botschaften und bei der Delegation der EU-Kommission
in Zagreb bereitet das Erbe des Bürgerkrieges Sorgen; gesprochen
wird davon aber nur hinter vorgehaltener Hand: Zwar sind die Minderheitenrechte
und das Justizwesen, auch mit Blick auf die Aburteilung von Kriegsverbrechern,
offizielle Themen der Beitrittsverhandlungen. Aber auf dem Papier
ist Kroatien dabei, seine Hausaufgaben zu erledigen. 2005 wurde
General Ante Gotovina auf Teneriffa festgenommen. Die kroatischen
Behörden waren maßgeblich daran beteiligt. Mit seiner
Auslieferung an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ist ein
wichtiges Hindernis für den Beitritt aus dem Weg geräumt.
Dass aber im täglichen Leben Kinder von Kroaten und Serben
in getrennten Schulklassen lernen, will niemand aus den EU-Ländern
laut beklagen - die Volksgruppen sollen ein Recht auf Unterricht
in ihrer Muttersprache haben. Inoffiziell ist zu hören, die
Sprachen würden mit aller Gewalt auseinandergetrieben; wo
immer es unterschiedliche Wörter gibt, würden sie benutzt,
und seien sie noch so veraltet.
Die kroatische Mehrheit, sagt Milorad Pupovac, Linguist und Mitglied
des Parlamentsausschusses für Menschrechte und Minderheiten,
setze ihre Dominanz durch. Der Vertreter der Serben im Sabor,
dem Parlament Kroatiens, würde gern einen Saal im Abgeordnetenhaus
nach einem Serben benennen. Für einen Antrag aber sei die
Zeit noch lange nicht reif. Immerhin könne er die Idee mittlerweile
im Gespräch erwähnen, ohne ausgelacht zu werden. Pupovac
weiß, dass auch die EU die Kroaten nicht zwingen kann, ethnische
Serben als gleichberechtigt wahrzunehmen. Diplomaten befürchten,
die Ethnien entfernten sich eher noch voneinander: "So wächst
das Land nie zusammen", sagt einer von ihnen, der ungenannt
bleiben will. Und fügt noch eine Sorge hinzu: Die kroatische
Bevölkerung sei nicht gerade enthusiastisch, wenn es um den
EU-Beitritt gehe.
"Wie wir die Zustimmung zum Beitritt steigern können?
Ganz einfach: Wir öffnen und schließen Verhandlungskapitel",
sagt Vladimir Drobnjak, Chefunterhändler Kroatiens für
die Gespräche mit Brüssel. Sein Englisch ist makellos.
Der Karrierediplomat hat ein großes und kompetentes Team,
es arbeitet rasch. Von 33 Verhandlungskapiteln sind zwei bereits
geschlossen, 18 eröffnet, in den übrigen elf ist das
vorbereitende "Screening" abgeschlossen - der Vergleich
zwischen kroatischen Verhältnissen und EU-Anforderungen.
Selbst die schwierige Justizreform schreitet voran; nur die Verwaltung
kommt nicht immer mit in der Umsetzung der Gesetze und Erlasse.
Und auch, dass die Korruption mit der Neubesetzung von Gerichten
und transparenteren Verfahren verschwindet, will niemand so recht
glauben. Aber der leidige Konflikt um Fischereirechte in der Adria
mit Italien und Slowenien ist so gut wie erledigt; er hatte während
Sloweniens Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte
die Beziehungen der EU zu Kroatien getrübt.
Streit um Subventionen
Eines der letzten Hindernisse bleibt das Wettbewerbsrecht: Hohe
Subventionen, die sich mit EU-Regeln nicht vereinen lassen, halten
die Werften am Leben. Mehr oder weniger offen sagen selbst Oppositionspolitiker
wie Zoran Milanovic, Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei
Kroatiens, dass es wohl Massenentlassungen geben wird. Das wird
die Zustimmung der Kroaten zur EU nicht steigern.
Nach dem irischen Nein
Schon wenige Tage nach dem Nein aus Irland zum Vertrag von Lissabon
eröffnete die Union zwei weitere Verhandlungskapitel, eines
zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, das andere zur Sozialpolitik.
Dabei hatte Frankreich, das den Beitritt Kroatiens stets skeptisch
sah, die Gelegenheit nach dem Referendum genutzt: Ohne die im
Vertrag von Lissabon vorgesehene Reform der EU-Institutionen könne
es keine Erweiterung geben verkündete Präsident Nicholas
Sarkozy beim Gipfel in Brüssel. Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) stellte sich an seine Seite, wohl vor allem mit Blick auf
die Türkei. Dagegen betonte Österreichs Außenministerin
Ursula Plassnik, Kroatiens Beitritt dürfe nicht zum Opfer
des Referendums werden. Ohne den Lissabon-Vertrag müssten
die Stimmgewichte im EU-Rat und die Sitze im Europaparlament eben
im Beitrittsvertrag mit Kroatien - den alle Länder ratifizieren
müssen - neu festgelegt werden, wie bei den Beitritten von
Österreich, Schweden und Finnland auch. Plassnik monierte,
das Thema Kroatien werde als Druckmittel missbraucht, um den Lissabon-Vertrag
zu retten.
Aber während die Politik streitet, marschiert die Verwaltung
in Brüssel wie in Zagreb weiter, als wäre nichts geschehen.
Die Parole "Weitermachen" gab auch Erweiterungskommissar
Olli Rehn aus: Nachdenken solle man über das irische Nein,
aber keine Pause im Beitrittsprozess einlegen. Kommissionspräsident
José Manuel Barroso hatte im März das Mandatsende
der aktuellen EU-Kommission im November 2009 als Zieldatum für
ein Ende der Verhandlungen genannt. Dann könnte Kroatien
2010 oder 2011 beitreten.
Zagreb pocht jetzt darauf, den Zeitplan einzuhalten: "Kroatien
wird seine Reformen wie vereinbart fortsetzen und sich an die
bisherigen Absprachen mit der EU halten", erklärt Außenminister
Gordan Jandrokovic seit dem irischen Referendum immer wieder.
Auch die wichtigsten Oppositionsparteien sind klar auf EU-Kurs.
Auch Präsident Stjepan Mesic mahnt, bliebe Kroatien in der
Warteschleife, hätte das "katastrophale Auswirkungen"
für die Stabilität der Region.
Dass "Stipe" Mesic in geopolitischen Dimensionen denkt,
liegt vielleicht auch an seiner Residenz, weitab vom Alltagslärm
der Hauptstadt auf einem grünen Hügel über Zagreb.
Den mondänen Betonbau mit Buntglasfenstern ließ Josip
Tito sich einst als Sommerfrische errichten. Titos Erbe verwaltete
Mesic zeitweilig als jugoslawischer Präsident, 1991, kurz
vor dem Auseinanderbrechen der Föderation. Ein Pfau schreit
im Park. In der Ruhe seiner Residenz setzt Mesic wortreich auseinander,
warum Kroatien in die Europäische Union gehöre. Der
Westbalkan, sagt der Mann mit dem stahlgrauen Bürstenhaarschnitt,
dürfe kein "grauer Fleck" auf der Karte der Staatengemeinschaft
bleiben. Europa werde erst befriedet sein, wenn die EU die gesamte
Region einschließe, auch Serbien.
Schwierige Vergebung
EU hin, EU her: Zlatko Spehar wird den Serben nie trauen. Das
Mitglied des Franziskanerordens in Vukovar spricht viel von Versöhnung.
Aber er hat den Schriftzug, den die serbische Soldateska 1991
in kyrillischen Buchstaben in seine Kirche geschmiert hat, stehen
lassen: "Gott vergibt - Serben nie". Spehar sagt, "wir
Kroaten können uns nicht rächen, deshalb müssen
wir vergeben". Die Serben dagegen, die warteten nur auf die
nächste Gelegenheit loszuschlagen. Spehar klingt verwundert,
wenn er sagt, es habe bis heute keinen einzigen Rachemord von
Kroaten an Serben gegeben. Als Souvenir gibt Spehar Gästen
zerschossene Miniatur-Wassertürme mit. Handbemalt.
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