Wir sind Deutschland
Wir sind uns hoffentlich einig, alle
Gemeinschaften mit dem gleichen Maß zu messen. Was das bedeutet
- darüber müssen sich auch die Demonstranten gegen Pro
Köln verständigen.
Ein Häuflein kleiner Lichter aus Köln trommelt einen
Querschnitt durch die europäische Wirrkopf-Szene zusammen,
um unter dem Deckmantel des "Anti-Islamismus" Intoleranz
zu predigen, und Zehntausende protestieren dagegen. Ist das angemessen?
Bringt das was?
Unter Umständen. Die Herrschaften von Pro Köln haben
einen Instinkt für Themen: Der Islam lässt sich so wunderbar
benutzen, um die Angst zu schüren, die sie für ihre
Art von Politik brauchen. Die "jüdische Weltverschwörung"
zieht nur noch bei völlig verblödeten Neonazis, die
"Asylantenschwemme" erledigt Frontex an den Wällen
und Wassergräben der Festung Europa - aber die Furcht vor
dem Islam reicht tief in die Mitte der Gesellschaft. Mit schuld
sind leichtfertige Politiker, die grob fahrlässig die Trennlinie
zwischen den Begriffen Islamismus und Islam verwischt haben. Die
Pro-Kölner und ihre Spießgesellen aus Flamen und Österreich
tun das vorsätzlich.
Dagegen hilft es aber nicht allein, wenn Gegendemonstranten Straßen
blockieren und Gastwirte "Kein Kölsch für Nazis"
ausschenken. Bliebe es bei diesen Reflexen, dann ließe sich
der liberal gesinnte Teil der Gesellschaft vom Rudel Rechtsextremer
die Wochenendgestaltung diktieren. Einer Bande Brandstifter im
Biedermanngewand zu zeigen, dass sie nicht willkommen ist, das
ist eine schöne Geste, und sie ist um der deutschen Muslime
willen auch nötig. Aber sie reicht nicht - und dass Steinwürfe
nicht weiterhelfen, ist auch klar.
Erst mal gehört das Leitkultur-Gelaber der Rechtsausleger
entlarvt. Im Chor derer, die die angeblich bedrohten Werte des
christlichen Abendlandes beschwören, singen Gewalttäter,
Holocaust-Leugner, Nazi-Verehrer, Antidemokraten. Ihr Abendland
ist eines der Abschottung, der Intoleranz, der Diktatur - das
hat weder mit antiken noch mit christlichen oder humanistischen
Werten Europas auch nur das Geringste zu tun. Wenn das mal klar
ist, muss die intellektuelle und auch die emotionale Auseinandersetzung
mit dem Phänomen folgen, das die Volkstribune ausnutzen:
der Angst vor dem Anderen in der Gestalt von Moscheen, von verschleierten
Frauen, von Konflikten um Schwimmunterricht für Mädchen
und Schweinebraten in der Kantine.
Dazu müssen wir uns vergewissern, welche Ideale es denn
sind, die uns gegen die Hetzer aufstehen lassen. Der Grund für
diese Vergewisserung ist nicht, dass die sich zusammenrotten -
das wäre zu viel der Ehre. Dass die Propapagandisten im Kölner
Stadtrat sitzen, ist schlimm genug, aber eine Gefahr für
die Demokratie? Wohl kaum.
Nein, wir müssen reden, weil der Spaltpilz des Populismus
in den Ritzen einer Gesellschaft wächst, die sich streckt,
sich verändert, die arbeitet. Die Dehnfugen oberflächlich
mit Harmoniesoße zu verkleistern,wäre fatal - wir müssen
klären, was sie wirklich füllt. Wir müssen klar
trennen, was Toleranz bedeutet - und was nicht. Wir müssen
Kritik denken und aussprechen können an demokratiefeindlichen
Tendenzen in Teilen einzelner islamischer Gemeinden, ohne Angst
vor dem Beifall der Falschen zu haben. Wir müssen uns auch
mit Gefühlen auseinandersetzen, die es auslöst, wenn
neben Kirchtürmen Minarette stehen oder Lehrerinnen mit Kopftuch
Mathematik unterrichten. Dass Veränderungen vages Unbehagen
erzeugen, ist menschlich - es zu artikulieren, in berechtigte
und unberechtigte Anteile zu trennen und letztere zu überwinden,
ist eine Kulturtechnik.
"Wir" sind nicht nur die Mehrheitsgesellschaft, die
um des lieben Friedens willen eine Minderheit integriert. Wir
sind Deutschland - Christen, Muslime, Hindus, Wellness-Buddhisten,
Irgendwie- und Gar-nicht-Gläubige. Wir sind uns hoffentlich
einig, dass es gut ist, wenn Muslime in (auch architektonisch)
offenen Gotteshäusern beten statt in Hinterhofmoscheen. Wir
sind uns hoffentlich auch darüber einig, dass wir alle Religionen,
alle Gemeinschaften, mit dem gleichen Maß messen wollen.
Was das aber bedeutet - darüber müssen wir uns, darüber
müssen sich auch die Protestierer gegen Pro Köln verständigen.
Darüber muss gesprochen werden auf den blockierten Straßen,
beim nazifreien Kölsch. Kein Multikultigeplapper, sondern
Dialog, unter Beteiligung von Muslimen und Nicht-Muslimen. Was
bedeutet es, Offenheit zu fordern? Muss der Moschee-Bauherr Ditib
es Günter Wallraff erlauben, im Bethaus aus den "Satanischen
Versen" Salman Rushdies zu lesen? Verlangen wir dann von
Kardinal Joachim Meisner, dass er Charlotte Roche zur "Feuchtgebiete"Lesung
auf die Kanzel bittet? Lustig wär's.
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