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Wir sind Deutschland. Wir sind uns hoffentlich einig, alle Gemeinschaften mit dem gleichen Maß zu messen. Was das bedeutet - darüber müssen sich auch die Demonstranten gegen Pro Köln verständigen, Leitartikel in der Frankfurter Rundschau vom 19. September 2008

Volker Schmidt

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Wir sind Deutschland

Wir sind uns hoffentlich einig, alle Gemeinschaften mit dem gleichen Maß zu messen. Was das bedeutet - darüber müssen sich auch die Demonstranten gegen Pro Köln verständigen.

Ein Häuflein kleiner Lichter aus Köln trommelt einen Querschnitt durch die europäische Wirrkopf-Szene zusammen, um unter dem Deckmantel des "Anti-Islamismus" Intoleranz zu predigen, und Zehntausende protestieren dagegen. Ist das angemessen? Bringt das was?

Unter Umständen. Die Herrschaften von Pro Köln haben einen Instinkt für Themen: Der Islam lässt sich so wunderbar benutzen, um die Angst zu schüren, die sie für ihre Art von Politik brauchen. Die "jüdische Weltverschwörung" zieht nur noch bei völlig verblödeten Neonazis, die "Asylantenschwemme" erledigt Frontex an den Wällen und Wassergräben der Festung Europa - aber die Furcht vor dem Islam reicht tief in die Mitte der Gesellschaft. Mit schuld sind leichtfertige Politiker, die grob fahrlässig die Trennlinie zwischen den Begriffen Islamismus und Islam verwischt haben. Die Pro-Kölner und ihre Spießgesellen aus Flamen und Österreich tun das vorsätzlich.

Dagegen hilft es aber nicht allein, wenn Gegendemonstranten Straßen blockieren und Gastwirte "Kein Kölsch für Nazis" ausschenken. Bliebe es bei diesen Reflexen, dann ließe sich der liberal gesinnte Teil der Gesellschaft vom Rudel Rechtsextremer die Wochenendgestaltung diktieren. Einer Bande Brandstifter im Biedermanngewand zu zeigen, dass sie nicht willkommen ist, das ist eine schöne Geste, und sie ist um der deutschen Muslime willen auch nötig. Aber sie reicht nicht - und dass Steinwürfe nicht weiterhelfen, ist auch klar.

Erst mal gehört das Leitkultur-Gelaber der Rechtsausleger entlarvt. Im Chor derer, die die angeblich bedrohten Werte des christlichen Abendlandes beschwören, singen Gewalttäter, Holocaust-Leugner, Nazi-Verehrer, Antidemokraten. Ihr Abendland ist eines der Abschottung, der Intoleranz, der Diktatur - das hat weder mit antiken noch mit christlichen oder humanistischen Werten Europas auch nur das Geringste zu tun. Wenn das mal klar ist, muss die intellektuelle und auch die emotionale Auseinandersetzung mit dem Phänomen folgen, das die Volkstribune ausnutzen: der Angst vor dem Anderen in der Gestalt von Moscheen, von verschleierten Frauen, von Konflikten um Schwimmunterricht für Mädchen und Schweinebraten in der Kantine.

Dazu müssen wir uns vergewissern, welche Ideale es denn sind, die uns gegen die Hetzer aufstehen lassen. Der Grund für diese Vergewisserung ist nicht, dass die sich zusammenrotten - das wäre zu viel der Ehre. Dass die Propapagandisten im Kölner Stadtrat sitzen, ist schlimm genug, aber eine Gefahr für die Demokratie? Wohl kaum.

Nein, wir müssen reden, weil der Spaltpilz des Populismus in den Ritzen einer Gesellschaft wächst, die sich streckt, sich verändert, die arbeitet. Die Dehnfugen oberflächlich mit Harmoniesoße zu verkleistern,wäre fatal - wir müssen klären, was sie wirklich füllt. Wir müssen klar trennen, was Toleranz bedeutet - und was nicht. Wir müssen Kritik denken und aussprechen können an demokratiefeindlichen Tendenzen in Teilen einzelner islamischer Gemeinden, ohne Angst vor dem Beifall der Falschen zu haben. Wir müssen uns auch mit Gefühlen auseinandersetzen, die es auslöst, wenn neben Kirchtürmen Minarette stehen oder Lehrerinnen mit Kopftuch Mathematik unterrichten. Dass Veränderungen vages Unbehagen erzeugen, ist menschlich - es zu artikulieren, in berechtigte und unberechtigte Anteile zu trennen und letztere zu überwinden, ist eine Kulturtechnik.

"Wir" sind nicht nur die Mehrheitsgesellschaft, die um des lieben Friedens willen eine Minderheit integriert. Wir sind Deutschland - Christen, Muslime, Hindus, Wellness-Buddhisten, Irgendwie- und Gar-nicht-Gläubige. Wir sind uns hoffentlich einig, dass es gut ist, wenn Muslime in (auch architektonisch) offenen Gotteshäusern beten statt in Hinterhofmoscheen. Wir sind uns hoffentlich auch darüber einig, dass wir alle Religionen, alle Gemeinschaften, mit dem gleichen Maß messen wollen.

Was das aber bedeutet - darüber müssen wir uns, darüber müssen sich auch die Protestierer gegen Pro Köln verständigen. Darüber muss gesprochen werden auf den blockierten Straßen, beim nazifreien Kölsch. Kein Multikultigeplapper, sondern Dialog, unter Beteiligung von Muslimen und Nicht-Muslimen. Was bedeutet es, Offenheit zu fordern? Muss der Moschee-Bauherr Ditib es Günter Wallraff erlauben, im Bethaus aus den "Satanischen Versen" Salman Rushdies zu lesen? Verlangen wir dann von Kardinal Joachim Meisner, dass er Charlotte Roche zur "Feuchtgebiete"Lesung auf die Kanzel bittet? Lustig wär's.

 

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