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Jazz wird Pop. So viel sexier, Zeit Online vom 24. September 2008

Volker Schmidt

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Jazz wird Pop
So viel sexier

Sie sind smart, jung und spielen zwischen den Genres: Jazzmusiker wie Torsten Goods, Peter Cincotti, Jamie Cullum oder Michael Bublé haben keine Angst vor dem Pop. Sollten sie aber!

Manchmal vergisst man, wie jung Jazzmusiker sein können. Torsten Goods führt es auf seinem neuen Album vor: Es heißt 1980 – wie sein Geburtsjahr. Der Gitarrist und Sänger macht darauf eine nicht ganz ernst gemeinte These zum Konzept: Jeden Künstler präge die Musik seines Geburtsjahres.

Also erklingen Queens Crazy Little Thing Called Love und Billy Joels It’s Still Rock’n’Roll To Me, beide schon immer rückwärtsgewandt in Richtung Elvis, jetzt noch weiter zurückgedreht in die Swing-Ära. 99 von Toto wird zur coolen Easy-Listening-Nummer. Goods’ eigene Kompositionen gehen den umgekehrten Weg: Jazz im Stil der Achtziger, leicht bombastisch, etwas zu schnörkelig. Die Stimme changiert zwischen Al Jarreau, dem Toto-Gitarristen Steve Lukather und alten Swing-Croonern.

Goods, in Düsseldorf als Torsten Gutknecht geboren, tat seine ersten musikalischen Schritte in Rockbands, bevor er auf Lehrer wie Peter O’Mara, Jim Hall, John Scofield, Les Paul und George Benson traf. Das Fundament stimmt, seine Technik ist erstaunlich. Und gemessen an so manchem Mikrofonhalter im Pop ist selbst seine Stimme nicht schlecht. Goods’ Kompositionen bestechen nicht durch Radikalität, sind aber auch nicht unoriginell. Hm, ist das Jazz?

Ähnlich ist das auch mit anderen jungen Kollegen: Sie waten tief in den Pop und ragen doch weit genug heraus, um nicht im matschigen Einerlei unterzugehen.

Zum Beispiel Peter Cincotti, Jahrgang 1983: Klavierstunden mit vier, Profi mit zwölf, regelmäßige Auftritte in den Clubs von Manhattan während der High School, 2000 ein Preis beim Montreux Jazz Festival. Sein erstes Album ließ er 2003 von Phil Ramone produzieren, der einst Billy Joel und Barry Manilow unter den Fittichen hatte.

Mit Album Nummer vier, East of Angel Town, wurde Cincotti Anfang 2008 auch in Europa bekannt, unter Mithilfe des Produzenten David Foster (Whitney Houston, Celine Dion). Auf seiner Debütplatte interpretierte er Standards, heute bestreitet er Alben allein mit Eigenkompositionen, die mit Jazz wenig zu tun haben. Reichlich – ähem – mainstreamig ist das und ein bisschen schade um die schöne Ausbildung. Aber als Kaminfeuerbeschallung kann Cincottis Musik mit der von Norah Jones mithalten.

Die britische Variante desselben Phänomens heißt Jamie Cullum, mediengängig als Leonardo di Caprio des Jazz apostrophiert, ebenfalls Sänger und Pianist, aber mit rauerem, robusterem Organ als Cincotti. 1979 geboren, Vater Israeli, Mutter aus Burma, beide Musiker in der Band The Impacts. Als Kleinkind hat Cullum erste Tasten gedrückt, bekam später Gitarren- und Gesangsunterricht, finanzierte sich dann das Studium durch Auftritte. 2003 erhielt er den British Jazz Award als Rising Star – und einen Vertrag bei Universal Jazz.

Sein Album Twentysomething stellte Jazz-Standards neben The Wind Cries Mary von Jimi Hendrix und viele eigene Stücke. Im September 2005 folgte Catching Tales, fast nur Eigenkompositionen. Cullum schüttet Einflüsse von Miles Davis bis Tom Waits in eine sehr eigene Suppe, interpretiert die White Stripes ebenso wie Elton John, Massive Attack ebenso wie Justin Timberlake. Er wirkt, um einen altmodischen Terminus zu bemühen, authentisch, wo Cincottis Glätte abstößt. Seine Plattenfirma erwartet für die erste Hälfte 2009 ein neues Album. Aber Jazz? Naja.

Auch Michael Bublé bekam das Etikett Jazz aufgeklebt, aber der Kanadier kroatisch-italienischer Abstammung, 1975 geboren, bestückt seine Alben seit 2003 mit kaleidoskopischen Kollektionen quer durch alle Epochen. Ordentliche Stimme, Star-Appeal auch nach der Trennung von der Schauspielerin Emily Blunt, aber Jazz? Trotz der vier Canadian Smooth Jazz Awards und einem Jazz-Echo: Der Grammy 2008 für das Best Traditional Pop Vocal Album trifft’s besser.

Ein ganz anderes Kaliber ist Aaron Parks, Jahrgang 1983. Der offenbar fürchterlich Hochbegabte kam mit 14 an die University of Washington und studierte Musik und Computerwissenschaft, bevor er auf die Manhattan School of Music in New York wechselte. Er landete beim Label Blue Note, erst als Pianist für Terence Blanchard, jetzt auch als Solist: Sein gerade erschienenes Album Invisible Cinema verbindet Einflüsse aus Indie-Rock und Hip-Hop.

Doch Parks verwandelt sie mit seinem Quartett in echten Jazz, und zwar von der Sorte, die nicht nach Vergangenheit stinkt. Der erstklassige Improvisateur, Komponist und Arrangeur hat es nicht nötig, zu singen. Sein einziges Zugeständnis an die Popwelt ist, dass er verdammt gut aussieht – aber dafür kann er ja nichts.

Die Cincottis, Bublés und Cullums dagegen nutzen die Marketing-Klaviatur des Pop, von Filmrollen über eigene Fan-Seiten und Videoclips bis zu Interviews, die mehr vom Privatleben handeln als von Musik. Ihre Kleidung sieht aus, als sei sie mindestens so teuer wie gute Studiomusiker.

Die Masche zieht. Unter einem Cincotti-Clip auf YouTube steht der Kommentar: „Jazz wird durch ihn so viel sexyer“. Das werden die vielen anderen jungen Jazzer gern hören, etwa die, auf die das findige Label ACT in seiner Reihe Young German Jazz aufmerksam macht. Sie suchen ihr Heil nicht im Pop, sondern fühlen sich dem Punk verwandt wie Matthias Schriefl (Jahrgang 1981), spüren Chet Baker nach (die Brüder Wasserfuhr, 1987 und 1985) oder verbinden explosive Improvisation mit schlafwandlerischem Ensemblespiel (Michael Wollny, Jahrgang 1978, und sein Trio). Jazz halt.

 

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